Backstein-Zwillinge der Goldenen Zwanziger
Die beiden Privathäuser Haus Lange und Haus Esters in Krefeld gehören zu den architektonischen Denkmälern des Neuen Bauens. Entworfen und gebaut hat das Ensemble der Architekt Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969) in den Jahren von 1927 bis 1930.
Die Architektur der 1920er-Jahre ist in Deutschland geprägt von zwei Strömungen: dem Backsteinexpressionismus und dem Neuen Bauen. Während erstere Stilrichtung unübersehbar mit dem Baustoff Backstein in Verbindung gebracht wird, denken die meisten bei Bauhaus vor allem an die neuen Werkstoffe Eisen, Glas und Beton. Doch immer wieder schätzten auch die Großen der „sachlichen Architektur“ den Backstein in seiner Einfachheit. Nicht zuletzt wegen seines häufig zitierten Ausspruchs „Architektur beginnt, wenn zwei Backsteine sorgfältig zusammengesetzt werden“ steht der Name Ludwig Mies van der Rohe und damit eines der einflussreichsten Architekten der Moderne für Backsteinarchitektur. Für ihn war die kubische Geometrie des Backsteins Inbegriff der Rationalität und Vernunft, die im Kern der neuen Ideenschule stehen.
Zwillinge in Geist und Gestalt
Bevor Mies van der Rohe von 1930 bis zur erzwungenen Schließung 1933 der letzte Direktor des Bauhauses in Dessau wurde, entwarf und baute er in Krefeld zwei außergewöhnliche Einfamilienhäuser, die nach fast 100 Jahren noch genauso modern wie zu ihrer Entstehungszeit sind. Die Bauherren Herrmann Lange und Dr. Josef Esters waren Direktoren der Vereinigten Seidenwebereien und erwarben zwei benachbarte Grundstücke in Krefeld. Als Architekten beauftragten sie Mies van der Rohe. Haus Lange und Haus Esters entwarf er als Zwillingshäuser für die befreundeten Familien. Der Entwurf umfasste nicht nur die Architektur, sondern auch Vorplatz und Inneneinrichtung.
Gebaute Weltanschauung
Folgt man der These „Architektur ist gebaute Weltanschauung“, lassen sich in der Wahl der Materialien und Formen einige Ideen der Neuen Sachlichkeit herauslesen. Die Form der Gebäude, insbesondere die Abwesenheit eines Satteldaches, kann als Ausdruck der Weltsicht verstanden werden: Architektonisch wird das Gebäude – entsprechend der Grundidee des Neuen Bauens, geometrisch einfache Gebäude zu schaffen – nicht durch ein Dach in Szene gesetzt. Die Dominanz der rechten Winkel stellt einen Bruch mit der traditionellen Bauweise dar. Sie stehen für menschliche Vernunft und damit auch für die neue Idee, dass die Welt eine zivilisierte ist, in der kein Schutz der Behausung notwendig ist.
Bauhaus-typische Prinzipien
Durch ein Stahlträgergerüst gewinnt die Architektur Freiraum in der Gestaltung der Außenwände. Die Fassade aus Backstein ohne tragende Funktion verkleidet die Kombination aus massiven Wänden und Stahlkonstruktion. Große Glasfenster trennen und verbinden zugleich Innen- und Außenraum. Der Innenraum wird vom Prinzip des Durchwohnens bestimmt: Es gibt keine Schwellen zwischen den Räumen, der Grundriss folgt gemäß der Bauhaus-Schule den Raumfunktionen. Die Verschachtelung und Anordnung der einzelnen kubischen Baueinheiten ist einer der Unterschiede zwischen beiden Häusern, die ansonsten auf den ersten Blick fast identisch sind.
Liebe zum Detail
Die Fassade ist bei beiden Häusern durch Backstein, weiße Akzente in der Waagerechten und Makassar-Holz gekennzeichnet. Der Backstein mit seinem industriellen und robusten Charakter stellt einen Bezug zum Handwerk der Bauherren her. Verschiedene Holzarten und Weiß setzen sich innerhalb der Räume fort. Innenarchitektur und -design für die Böden, Lampen, Möbel und andere funktionale Gebrauchsgegenstände hat Mies van der Rohe in Zusammenarbeit mit Lilly Reich bis ins kleinste Detail gestaltet.
Vom Wohnhaus zum Museum
Die Ähnlichkeit der Häuser selbst ist Ausdruck der innigen Freundschaft der beiden kunstsinnigen Familien. Bereits in der Konzeption des Hauses Lange war eine Funktion als Lager- und Ausstellungsräume vorgesehen. Für die Kunstmuseen Krefeld steht Haus Lange seit 1955 zur Verfügung, Haus Esters kam 1981 als Ausstellungshalle für zeitgenössische Kunst dazu. Durch eine Schenkung ist Haus Lange seit 1968 in Besitz der Stadt Krefeld. Die Häuser Lange und Esters stehen seit 1984, das Sommerhaus seit 2007 unter Denkmalschutz. Sanierungsmaßnahmen verschreiben sich dem Ziel, die Häuser den Besuchern möglichst nah an den ursprünglichen Plänen zu präsentieren.
Die beiden Ikonen der Moderne waren damals radikal neu gedacht. Von der zeitlosen Ästhetik des Backsteins über das minimalistische Prinzip „Weniger ist mehr“ bis zu den funktional gedachten Grundrissen entsprechen die Einfamilienhäuser auch heute noch, 100 Jahre später, unseren modernen Vorstellungen, wie wir wohnen wollen.